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CUIT#0D4

Karaoke

Literatur? Literarität!
Ein Spiel mit Formen und Referenzen.
Wir können an den "degré zéro" zurückkehren
"from scratch".
Oder wir nehmen die probaten Mittel beim Wort - prototypisch. Die Darstellung ergibt sich aus dem Umgang mit den Formen und Figuren,
die durch die so genannte Literatur Spuren hinterlassen haben.
Heute erscheinen sie dem "aufgeklärten" Leser,
der nicht im 19. Jahrhundert stehengeblieben ist,
als sinnentleert und lächerlich. Plagiat? Zitat!

Wo der Nouveau Roman das Erzählen von Abenteuern durch das Abenteuer des Erzählens ersetzt, gehe ich hier noch einen Schritt weiter:
Die Konsistenz oder Kohärenz, ja, die Glaubwürdigkeit von Denken, Leben und Handeln
der Personen auf dem Papier
entsteht einzig durch die Wiederholung
der rhetorischen Staffage.
Das Klischee feiert sich selbst!

Es war ein Glücksfall in Klagenfurt einst als Juror
mitzuerleben, dass die Selbsthauptung des Echten
zynisch ist. Oder "authentisch" unbedarft.

Mit auf den Barhocker:
An diesem Text stimmt nichts. Nichts aber ist daran erfunden.
Wir haben alles schon einmal gehört oder gesehen.
Es spielt alles, was dasteht, in diesem Sinne eine Rolle.
Hauptsächlich ein Tresen und eine Bar, von der Igor behauptet, sie sei ein Hier im Überall.

Spiegelkugeln hängen an der Decke.
Sie streifen die eine oder den andern,
wenn sie da sind.
In die Bar „Tipptopp“ kommen sie, die (Selbst)Darsteller und schönen Frauen,
und Abend für Abend erfahren wir
eine Episode mehr aus ihrem Leben.
Die Spurenelemente ergeben nach und nach ein Bild,
wenn zufällige Bekanntschaften Geschichte machen.
Wir sehen sie wieder, wir hören von ihnen lesend
und meinen mit der Zeit,
etwas über sie zu wissen. Auch das kennen wir.

Divina Commedia, Commedia dell’arte, das eingängige Lied.
Die Anteilnahme und die Erkenntnis gehen aus der Wiederholung hervor, das sieht ja jede und jeder.
Wie klein die Welt ist!
In diesem Karaoke des Literarischen,
dieser ewig andauernden Kolumne des Lebens
haben die Figuren einen Eigennamen
und alle haben miteinander etwas zu tun:

- Frank, Roman und Igor, die drei Musketiere sind sich selbst, bis Frank, der Barkeeper am Fernsehen kommt...
- Anna macht alles durch, aber Schnee fällt, und Anatol taucht auf...
- Für Elena und Clemens fällt das Dach über dem Kopf zusammen...
- Christian Fleck wird zum medizinischen Fall...
- Ruth und Valentin telefonieren, verlieren und finden sich...
- Lukas, der Anstifter, nimmt es mit dem heiligen Feuer auf...
- Michael ist zu Besuch, und Tim legt die gewünschte Musik auf...
- Wenn Vanessa singt, klatschen alle, ihr Großvater Cesare als erster...
- Mona, die taubstumm ist, bekommt ein Kind...
- Frank träumt – und alles bleibt beim Alten,
er übernimmt eine Bar im Süden.

Sie wollen nur das eine: Geliebt werden,
unbedingt bedingungslos. Das ist viel auf einmal.
Sie lassen sich verführen durch Sang und Klang, durch gegenseitige Blicke und das Treibgut des Versprechens. Sie spielen mit dem Feuer.
Der Schatten ist ihnen um eine Nasenlänge voraus. Dem Schicksal würden sie gerne persönlich begegnen, um ein Wort mitzureden; das tun sie denn auch, Seite um Seite.

Einen Platz an der Sonne suchen sie
und wenn sie nicht fündig werden,
singen sie den Glücksfall herbei. Im Chor.
Sotto voce geht es in diesem Stück Prosa um An- und Zuordnungen, um Weisen und Weisungen,
um die Fragilität von Konstellationen.
Die Chronologie, der scheinbare Halt des roten Fadens, ist immer in Gefahr.
Das Feuer bricht aus, die Wahrnehmung ist getrübt. Nur das rettende Zitat und das passende Sprichwort überbrücken die Zwischenfälle. Aber das Klischee ist glücklicherweise auf Versöhnung aus. Der deutsche Schlager verdient eine Liebeserklärung.

Ja, das Leben, ach die Zeichen! Scherben bringen Glück, das Fragment hat seine Tonart, die Quittung ist ein Dokument. Die Sprache, das Allerwelts- und Heilmittel wirft Fragen auf. Was trinkst du?
Es ist die einzige, die nicht vertagt wird. Bis morgen!

Es gibt von diesem Textstück zahlreiche Varianten.
Ich habe - im Laufe des allmählichen Entstehens - viele Bücher gelesen und wiedergelesen.
Auch eine Zeitreise durch den deutschen Schlager
gehört dazu
Colombier, Villars, Berlin, Hiddensee, Biel, Beirut zwischen 1998 und 2014.

Erstellt: 08.06.2018 / Geändert: 09.06.2018

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